Als Einzelunternehmer empfindlich sein? Kann ich mir das leisten? Vielmehr sollte ich mir doch ein dickes Fell zulegen, um (eventuell) anstrengende Kunden, fordernde Kooperationspartner und lästige Behörden zu „managen“. Solche laufen mir schließlich immer wieder über den Weg, damit muss ich klar kommen.
Empfindlich sein. Was bedeutet das denn? Im Volksmund ist der Begriff eher negativ belegt. Empfindliche Menschen sind schnell eingeschnappt, legen jedes Wort auf die Goldwaage, sind dünnhäutig bis labil. Das trifft sicherlich auf viele Menschen zu, gerade solche, die sich mit Selbstzweifeln herumplagen.
Empfindlich heißt aber auch sensibel sein. Feinfühlig. Weich.
Empfindliche Menschen bemerken ihre Empfindungen und nehmen sie ernst. Viele von uns haben gelernt, ihre Empfindungen abzutun, das Bauchgefühl zum Schweigen zu bringen, Verletzungen hinunterzuschlucken und gute Miene zum bösen Spiel zu machen. „Sei mal nicht so empfindlich!“ heißt es dann und die eigenen Gefühle werden ins Lächerliche gezogen. Das Ergebnis kann sein, dass wir nicht mehr zuhören, wenn unsere Empfindungen uns warnen, dass eine Situation gerade unangenehm ist. Dass wir uns verbiegen, damit dieser Kunde mit einem guten Eindruck nach Hause geht. Dass wir unseren Werten, also dem, was uns wichtig ist, nicht treu bleiben, damit die Situation glatt über die Bühne geht und wir nicht durch empfindliches Verhalten – unangenehm – auffallen. Wenn wir das über Jahre hinweg machen, kann es sein, dass wir irgendwann tatsächlich den Kontakt zu uns selbst verlieren. Viele Menschen können gar nicht mehr benennen, was ihnen wichtig ist, was ihnen Spaß macht und was nicht, woraus sie Kraft schöpfen und was ihnen Energie raubt. Denn wenn ich für mich selbst nicht empfindlich bin, kann ich all dies nicht wahrnehmen und verhalte mich wunderbar angepasst. Ich funktioniere fantastisch in der Gesellschaft und im Alltag und mache, reagiere und sage, was erwartet wird. Schön für die anderen. Schwierig für mich selbst.
Viele Einzelunternehmer sind selbständig geworden, weil sie bei genau diesem Spiel nicht mehr mitmachen wollen. Gerade in Konzernen, so meine Erfahrung, muss ich mich entscheiden: Entweder ich spiele mit und habe Erfolg oder ich bleibe meinen Empfindungen treu und werde teilweise ganz schön unbequem. Selbstverständlich ist das jetzt schwarz-weiß gemalt, doch worauf ich hinaus will: Ja, bitte seid empfindlich. Nein, das heißt nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen und sich in verletzten Gefühlen zu verlieren. Auch empfindliche Menschen können (und sollten) professionell sein und eine unangenehme Kundensituation qualifiziert und fachkundig abschließen. Und das schließt nicht aus, seine Empfindungen in Worte zu fassen: „Ich bin nicht sicher, wie es Ihnen geht, doch ich fühle mich gerade unwohl.“ Zumindest jedoch sollte jeder Selbständige nach der betreffenden Situation wahrnehmen, woher das ungute Gefühl kommt, was genau an der Situation störend war und wie sich dies in Zukunft vermeiden lässt. Als Einzelunternehmer sind wir sehr darauf angewiesen, langfristig gesund zu bleiben und mit Leidenschaft, Kraft und Freude unserem Job nachzugehen. Nur dann sind wir wirklich gut in dem, was wir tun, und können langfristig am Markt bestehen.
Ihr dürft Euch wertschätzen.
Ihr MÜSST Euch sogar wertschätzen, um leidenschaftlich und kraftvoll zu sein.
Und dazu gehört, auch empfindlich zu sein und die eigenen Gefühle ernst zu nehmen. Denn nur mit dem richtigen Bauchgefühl baut Ihr Euch ein Unternehmen und Netzwerk auf, das Euch langfristig unterstützt und glücklich macht.
Ein Artikel im Rahmen der Blogparade von Monika Birkner:
“Mehr Wertschätzung für Solo-Unternehmer”
Toller Artikel! Herzlichen Dank.
Mein Kommentar:
Auch hier, bei diesem Thema, wird wieder sichtbar, welch
eine große Rolle das “sich selbst BEwusst sein” und
der doch so kleine Bauch, spielt.
Liebe Frau Gärtner,
danke schön für diesen Beitrag, den ich voll unterschreiben kann. Wer den Kontakt zu sich selbst verliert, kann eine Zeitlang “funktionieren”. Doch deshalb sind wir ja nicht Solo-Unternehmer geworden. Ich komme auch aus der Konzernwelt und mein erstes Buch “Kurswechsel im Beruf” hat den Untertitel “Erfolgreicher sein, sich nicht mehr verbiegen”. Nicht ohne Grund:-).
Sehr schön und wichtig finde ich auch Ihre Bemerkung, dass Empfindlichkeit/Empfindsamkeit nicht bedeutet, unprofessionell zu sein.